Wirsing von der Rolle

In den 80er-Jahren – so lange lese ich schon die ZEIT – veröffentlichte Wolfram Siebeck im ZEIT-Magazin wöchentlich seine Rezepte im Sommerseminar. Die Rezepte habe ich damals fein säuberlich aus jedem ZEIT-Magazin herausgetrennt und in einem Ordner katalogisiert. Diesen Ordner habe ich heute noch und darunter findet sich ein Rezept das heißt: „Taubenbrust in Wirsing“. Es handelt sich um ein fantastisches Rezept, das ich schon oft nachgekocht habe. Trotzdem sieht man daran, wie sich die Zeiten auch in den Küchen verändert haben. Möchte heute noch jemand Taubenbrust oder doch lieber einen vegetarischen Wirsingwickel essen? Was vor 30/40 Jahren noch als edel und begehrenswert galt, ist heute fast verpönt. Ich gebe zu, ich esse Taube heute immer noch sehr gerne. Man bekommt das delikate Geflügel leider nicht mehr so einfach im Lebensmittelhandel zu kaufen.

Und natürlich lese ich den altehrwürdigen Siebeck immer noch mit Interesse, der in seinem Rezept empfiehlt, die Wirsingblätter in sprudelndem Salzwasser 4 Minuten zu blanchieren, kalt abzuschrecken und sie mit Koriander und Pfeffer zu würzen. Tatsächlich blanchiere ich die Wirsingblätter für mein Rezept auch, damit sie sich gut wickeln lassen. Aber grundsätzlich besser schmeckt Wirsing, wenn man ihn wie Spinat zubereitet: Die einzelnen Blätter auslösen, den groben Strunk herausschneiden und in kleine Stücke, Quadrate oder Streifen schneiden. Dann in einer
Pfanne Butter zerlassen und die Wirsingstücke darin goldgelb anbraten. Sie müssen einen leichten Braunton bekommen, aber dürfen nicht verbrennen, sonst schmecken sie bitter. Korianderkörner passen hervorragend dazu, auch Orangenabrieb bekommt dem Wirsing gut. Etwas salzen. Die Blätter fallen dann in der Pfanne zusammen, behalten aber Biss und Aroma viel besser als beim Blanchieren.

Der Wirsing liebt Sahne und das passende Gewürz dazu ist Muskatnuss. Auch Wacholder und bereits erwähnte Korianderkörner begleiten den Wirsing, der als Beilage zu Reh, zu Wildschwein und zu geschmortem Rind sehr gut schmeckt. Schwein und Kohl sind perfekte Partner. Ob es gegrillter, knuspriger Speck oder ein geschmortes Stück vom Schwein ist, Wirsing passt einfach zu Schwein wie Topf zu Deckel. Auch in China ist dieses Pairing sehr beliebt, Wirsing mag auch Sojasoße, Austernsoße, Reiswein, Knoblauch.

Aufgrund seiner Vielfältigkeit plädiere ich deshalb dafür, den Wirsing aus seiner nicht so beliebten Ecke des Kohlgemüses und der Arme-Leute Küche heraus zu holen. Wirsing duftet unglaublich gut, wenn man ihn statt zu lange im Wasser zu kochen wie oben beschrieben in Butter einfach brät.  Er enthält im übrigen auch viel Vitamin C, Eisen, Magnesium und Selen, das bekanntlich zu den wichtigen Antioxidantien gehört.

WIRSINGWICKEL

ZUTATEN

für zwei Personen

300 g Kartoffeln
200 g Sellerieknolle
1 Zwiebel
1 Eßl. Butter
Salz
Petersilie
100 g Ziegenkäse
(oder Kuhkäse)
1 Ei
8 blanchierte Wirsingblätter
1 kleine Zwiebel
1 Eßl. Butter
1 Eßl. Getrocknete Herbsttrompeten
(oder 100 g frische Champignons)
200 ml Sahne
Salz
Weißer Pfeffer

ZUBEREITUNG

Kartoffeln und Sellerie schälen und zusammen in Salzwasser zum Kochen bringen. Anschließend zu grobem Püree stampfen. Eine Zwiebel in sehr feine Würfelchen schneiden und in Butter goldgelb anschwitzen. Die Kartoffel-Sellerie-Masse dazugeben und mit Salz vorsichtig würzen. Je nachdem, welchen Käse man dazu gibt (der eventuell schon salzig genug ist) gibt man das Salz dazu. Den Käse habe ich entweder grob geraspelt oder fein gewürfelt und ziehe ihn zusammen mit einem Ei unter die Kartoffel-Selleriemasse. Klein geschnittene Petersilie gebe ich zum Schluss dazu und schmecke nochmals ab.

Von dem Wirsingkopf löse ich die äußeren, unschönen Blätter ab. Von den großen Blättern schneide ich den groben Strunk heraus und blanchiere die Blätter für wenige Minuten in Salzwasser. Die Blätter hebe ich vorsichtig aus dem Wasser heraus und lasse sie auf einem sauberen Küchentuch abtropfen.
Mit der „schönen“ Seite nach unten legen und auf die Innenseite einen großen Löffel von der Füllung geben. Ähnlich dem Wickeln bei Frühlingsrollen aufrollen. Mit der Nahtseite nach unten lege ich die Wickel auf ein Blech. Ich gebe noch ein Flöckchen Butter auf den Wickel und lasse sie bei 160 Grad für ca. 30 Minuten im Backofen goldbraun backen.

In der Zwischenzeit schneide ich die Zwiebel in kleine Würfel, brate sie in Butter goldgelb an und gebe entweder die getrockneten und in Wasser eingeweichten Herbsttrompeten dazu oder die in Scheiben geschnittenen, frischen Champignons. Danach gieße ich Sahne an und würze mit Salz und Pfeffer.
GUT ZU WISSEN

Wirsing mit seinen welligen Blättern hält nicht so lange frisch wie der Weißkohl. Deshalb lagere ich die Wirsingköpfe im Kühlschrank maximal eine Woche. Ein sämiges Wirsinggemüse mit einem Schuss Sahne und einer großen gekochten Kartoffel tröstet über kalte Herbstabende hinweg.
ANRICHTEN

Die Wickel lege ich auf flache Teller und gieße die Sahne-Pilzsoße an. Dazu passt ein Stück Weißbrot.

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