Wildkräuter

Geht es Ihnen bei einer Wanderung auch so, dass Sie sich über ein Getreidefeld, aus dem Mohn- und Kornblumen heiter herausleuchten; richtig freuen? 

Als Kind habe ich noch die roten Blüten des Klatschmohns zwischen den Schulbüchern gepresst. Heute lasse ich sie in der Natur stehen, weil ich zum einen weiß, dass die Blüten ohnehin auf dem Heimweg abfallen bis sie in die Vase kommen. Und zum anderen ist dieser Anblick leider selten geworden, weil viel zu viele Felder mit „Unkraut“-Mitteln behandelt werden. Finde ich doch einmal ein solch buntes Feld oder eine nicht gespritzte Wiese, ist dies für mich sofort ein Indiz dafür, Ausschau halten zu können nach Ackerhellerkraut, Hirtentäschel, wildem Feldsalat oder Baldrian. Der Tisch der Natur ist gerade in den Frühlingsmonaten an solchen Stellen reich gedeckt und der Wegesrand dient mir als Kräutergarten. Solange die Sonneneinstrahlung im April und Mai noch gemäßigt ist, bleiben die Wildkräuter zart und saftig.

Möchte ich Wildkräuter für ein Essen oder meine Kochkurse sammeln, gehe ich morgens mit einem Korb, einem Messer und feuchten Küchenhandtüchern los. Letztere sind besonders wichtig, damit die feinen Kräuter nicht welken, bis sie in der Küche verarbeitet werden können. Zunächst laufe ich querfeldein, um möglichst weit von Straßen und stark frequentierten Fußwegen entfernt zu sein. Der Weg dorthin ist bereits von Vorfreude, Spannung und Entspannung geprägt.

Sofern Sie außer Löwenzahn und Gänseblümchen Kräuter nicht gut kennen und sich nicht absolut sicher sind, was sie sammeln, ist eine geführte Kräuterwanderung sehr zu empfehlen. Schließen Sie sich zunächst jemanden an, der die Kräuter bestimmen kann, denn bei einigen gibt es doch Verwechslungsgefahr mit ein paar giftigen Pflanzenvertretern.

Kräuter sind für mich nicht einfach nur Grünzeug, sondern Pflanzen, die schon jahrhundertelang zum Würzen von Speisen, als Nahrungsmittel, Medizin oder als Duftstoff genutzt wurden. Früher waren es Hexen, aber auch Klosterfrauen wie Hildegard von Bingen, die sich ihr Leben lang mit den Wirkstoffen der Kräuter beschäftigt haben. Gerade in diesen Zeiten gewinnen Kräuter aus der Natur wieder zunehmend an Bedeutung für Medizin und Kosmetik. Das Besondere in der Küche bilden die Kräuter für mich in ihrer Vielfalt und der Tatsache, dass ich all diese Geschmäcker nirgendwo kaufen kann. Sie laden förmlich zum Experimentieren in der Küche ein. 

In den letzten Jahren habe ich neben den Brennesseln, von denen ich schon geschrieben habe, ein paar Favoriten für mich entdeckt: 
Ich liebe Sauerampfer! Er passt wunderbar zu Fisch und zu Eiern. Auch in der bekannten Grünen Soße kann für meinen Geschmack gar nicht genug davon drin sein. Starke Hitze mag er jedoch gar nicht, er verliert sofort seine schöne grüne Farbe und wird unattraktiv braun. Also Vorsicht mit der Wärmezufuhr.

Löwenzahn kennt jedes Kind, ob als gelbe Blüten oder als ausgereifte Pusteblume mit ihren Minifallschirmen. Er gehört zu den nützlichsten Heilpflanzen, weil sowohl Wurzeln, als auch Blätter und Blüten verwendbar sind. Jung geerntet schmecken mir die bitteren Löwenzahnblätter in einem Frühlingssalat mit etwas ausgelassenen Speckwürfeln. Besonders gern serviere ich sie anstelle von den Römersalatblättern à la Caesar Salad mit Parmesan, Brotcrôutons, Sardelle und Knoblauch.

Schafgarbe ist eine häufig vorkommende Wildpflanze, deren junge, fein gefiederte Blätter sehr fein geschnitten an Muskatnuss erinnern und prima den Blumenkohl würzen.

Nachdem ich leidenschaftlich gerne Tortelloni – bevorzugt in Salbeibutter mache, freue ich mich immer über Funde von Gundermann, der botanisch mit dem kultivierten Gewürzkraut verwandt ist. Ich verwende Gundermann – oder Gundelrebe – wie Salbei oder Thymian, aber auch fein geschnitten im Kräuterquark als erfrischenden Brotaufstrich.

Wenn ich jetzt noch Giersch erwähne, wird manch Gärtner verständnislos den Kopf schütteln, warum ich solch ein lästiges Unkraut toll finde. Meine Empfehlung ist: Einfach ernten und wegessen: Dünsten Sie Giersch wie Spinat in Butter, verwenden Sie ihn dann als Füllung in Maultaschen oder für eine Quiche. Wenn die hellgrünen Blättchen noch ganz jung und gerade dabei sind, sich auszurollen, haben sie einen Geschmack zwischen Petersilie und Karotte. Probieren Sie es einfach mal!

Auch Vogelmiere ist so ein unwillkommenes Unkraut, das im Garten, aber auch draußen auf den Äckern wächst. Es schmeckt eindeutig nach Erbse!

Ich freue mich auf die nächsten Monate: Ich werde Knöterich, Wiesenkerbel, Kümmel, Brunnenkresse, Kamille und später im Jahr Beifuß für meinen winterlichen Gänsebraten finden. Die Natur gibt mir Kraft und Zuversicht, versetzt mich immer wieder ins Erstaunen, welche Kräfte wirken und wie wenig Luxus es braucht, kulinarisch daraus etwas besonders zu zaubern. Aber vielleicht ist gerade das unser Luxus?

WILDKRÄUTERSALAT MIT BROTCROÛTONS

ZUTATEN
für 2 Personen

Eine Mischung aus Wildkräutern 
Ca. 100 g (zwei Hände voll)

1 Teel. Dijonsenf
1 Eßl. Apfelessig
1 Eßl. Zitronensaft
3 Eßl. Haselnussöl
1 Eßl. Olivenöl
1 gute Prise Salz
Etwas Pfeffer aus der Mühle
1 Eßl. Honig
In Olivenöl knusprig gebratene Brotcroûtons
ZUBEREITUNG

Die Kräuter gut waschen und trocken tupfen.
Aus den Zutaten eine Vinaigrette zubereiten. Das geht am besten mit einem Pürierstab.
Die Kräuter mit der Vinaigrette gut und vorsichtig vermischen. Nochmals abschmecken. Ist der Salat zu bitter, gebe ich noch etwas Honig dazu.

Die Weißbrotscheiben beträufele ich dünn mit einem Spritzer Olivenöl und brate die Scheiben im Backofen goldbraun und knusprig.
GUT ZU WISSEN

Selbst gesammelte Wildkräuter sortiere ich in der Küche sorgfältig aus, entferne alle groben Stengel und gebe die Kräuter in eine Schüssel mit kaltem Wasser. Der Sand und die Erde sinken auf den Schüsselboden. Den Vorgang wiederhole ich so oft, bis das Wasser frei von Sand ist. Die Kräuter, die ich nicht sofort verarbeite, bewahre ich entweder in einer Salatschleuder auf oder in feuchten Küchenhandtüchern.
ANRICHTEN

Die Kräuter gebe ich auf einen flachen Teller und die Croûtons darüber.
Ein pochiertes Ei passt prima dazu.
Mit Gänseblümchen, frittiertem Hirtentäschel oder Radieschen dekorieren.

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