Der Spargel des Winters

In Biografien von Köchinnen und Köchen steht üblicherweise auf der ersten Seite, dass sie das Kochen von ihrer Oma gelernt haben. Nun ist es ja so, dass man in der Regel zwei Omas hat. Ich war sogar in der glücklichen Lage, drei zu haben. Na gut, die eine war die Uroma. Diese hatte drei Schrebergärten gepachtet, in denen sie Gemüse anbaute. Mit dem Leiterwagen karrte sie die Schätze zu uns nach Hause auf den Hof. Im Sommer wurde dann gleich im Freien das Gemüse verarbeitet, die Bohnen geschnippelt, der Salat geputzt, die Kirschen entkernt. Spannend war für mich damals schon die Vorbereitung der nächsten Ernte, die beinahe magische Vermehrung: Im Spätsommer haben wir die Tomaten- und Gurkenkerne auf Zeitungspapier ausgebreitet und für die Aussaat im kommenden Frühling getrocknet.

Meine jüngeren Omas waren eher fürs Kochen zuständig. Die eine konnte es ein bisschen besser als die andere und kochte für damalige Verhältnisse schon ziemlich raffiniert. Sie sparte nicht an Butter und Sahne, weswegen es mir immer besonders gut geschmeckt hat. Die Erinnerung an ihr Schwarzwurzelgemüse stimmt mich aber auch traurig. Nie habe ich nach dem Rezept gefragt und ich bekomme es einfach nicht so hin, wie ich es in meinem kulinarischen Gedächtnis abgespeichert habe. Ferran Adrià hat es schon beschrieben: „Über die Qualität des Geschmacks befindet ausschließlich das Gehirn. Wir essen mit dem Gedächtnis.“

Die Schwarzwurzel ist ein Bilderbuch-Wintergemüse: Ab November werden die leicht zerbrechlichen Stangen auf dem Gemüsemarkt angeboten. Wenn der Boden nicht gefroren ist, kann
man sie bis in den März hinein ernten. In der Küche kommen sie oft noch voller Erde an, die am besten mit der Gemüsebürste und viel Wasser entfernt wird. Die schwarze, etwas raue Haut muss geschält werden und dann sollten die Stangen möglichst rasch in Wasser mit Zitrone eingelegt werden.

Der milchige Saft, der beim Schälen austritt und überall an Händen, Schäler und Schüssel klebt, strapaziert zu Beginn erstmal die Nerven. Durchhalten ist angesagt, denn danach geht es ans Vergnügen. Meine Oma hat es in etwa so gemacht: Die geschälten Wurzeln in fünf Zentimeter lange Stücke schneiden und in kochendem Salzwasser für circa 10 bis 15 Minuten weichkochen. Die Garzeit hängt von der Dicke der Stangen ab.

In der Zwischenzeit Butter in einem Topf flüssig werden lassen, etwas Mehl darüber stäuben und anschwitzen. Mit Milch langsam aufgießen – also eine Béchamel-Sauce ansetzen. Mit Salz, weißem Pfeffer und wenig Muskat würzen. Auch ein paar Korianderkörner passen wunderbar dazu.

Mit etwas Zitronensaft abschmecken und dann die abgetropften und weichen Schwarzwurzeln großzügig mit der Béchamel überziehen. Vielleicht noch klein geschnittene Petersilie darüber streuen. Bei Oma gab es Kartoffeln als Beilage, die man schön mit der Gabel zerdrücken konnte. Und an besonderen Tagen servierte sie Fleischküchle dazu.

Fraglich, ob meiner Oma nachfolgendes Rezept geschmeckt hätte:

GEGRILLTE SCHWARZWURZEL MIT SPECK UND WINTERKRESSE

ZUTATEN FÜR ZWEI PERSONEN
– 30-60 Minuten
– etwas komplizierter

10 g Ingwer
10 g Kurkumawurzel
10 g Knoblauch
1 Eßl. Ghee
200 g gelbe Schälerbsen, getrocknet und
1 Tag eingeweicht
400 ml Sahne
2 Kardamomkapseln
2 Nelken
1 Zimtstange
1 Eßl. Kreuzkümmel
½ Teel. Bockshornklee
Schale einer Orange
1 Chilischote
1 Eßl. Vollrohrzucker
Salz
Zitronensaft

ZUBEREITUNG

Die Schwarzwurzeln waschen und sie mit der Gemüsebürste von Sand oder Erde befreien. Eine große Schüssel mit kaltem Wasser und etwas Zitronensaft bereitstellen. Die Schwarzwurzeln schälen und sofort in das kalte Wasser legen, damit sie nicht braun werden. Wenn an den Schwarzwurzeln noch etwas Schale oder Punkte von der Schale sind, ist das kein Problem, nur Erde sollte keine mehr daran kleben.

200 Gramm der Schwarzwurzeln in dünne Scheiben von etwa ½ cm schneiden. Den Rest in Stücke von circa 7 bis 8 cm Länge schneiden. Die Schwarzwurzelscheiben in kochendem Salzwasser weich werden lassen, herausnehmen und gut abtropfen lassen. Die Stücke im gleichen Wasser ebenfalls weich werden lassen – sie brauchen etwas länger als die schmalen Scheiben.

Die Stücke auf eine heiße, mit Olivenöl eingeriebene Grillplatte legen und rundherum grillen. Dabei salzen, pfeffern und mit dem gemörserten Koriander würzen.
In einem Topf Butter flüssig werden lassen und das Mehl dazu geben. Mit einem Kochlöffel beides vermischen, aber nicht bräunen. Nach und nach Milch dazugeben und immer wieder gut verrühren, damit es keine Klümpchen gibt. Sobald die Milch aufgebraucht ist, eine Zitronenscheibe, ein Lorbeerblatt und eine halbe mittelgroße Zwiebel mit einer Nelke gespickt dazugeben und die Soße mindestens 30 Minuten köcheln lassen. Wird die Soße zu dick, etwas vom Kochwasser der Schwarzwurzel dazurühren.

Die Soße mit Salz und weißem Pfeffer abschmecken. Lorbeerblatt, Zitronenscheibe und Zwiebel entfernen und die blanchierten Schwarzwurzelscheiben unterrühren. Nochmals abschmecken. Eventuell noch mit Zitronensaft etwas Säure dazugeben. Die Haut von den Scheiben des Schweinebauchs entfernen und diese dann in einer Pfanne ohne Fett von beiden Seiten kross braten. Die Winterkresse waschen und in der Salatschleuder trocknen – eventuell sehr grobe Stiele klein schneiden wie Schnittlauch.
GUT ZU WISSEN

Das Schwarzwurzelgemüse in der Béchamelsauce kann mehrmals aufgewärmt werden. Sollte die Soße dabei zu dick werden, ein wenig Milch angießen.

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