Mit Fisch ist der Rhabarber wirklich mal Gemüse

Wir Menschen bemühen uns ein Leben lang um eine ideale Paarbildung und stellen fest, dass es richtig schwierig ist. In der Küche scheint es um ein Vielfaches leichter, den Traumpartner zu finden, mit dem fortan wunderbare Harmonie herrscht. Bei Rhabarber, jenen sauren Stängeln, die nun in den Gärten wachsen, ist es der Zucker. Und damit bin ich in Gedanken wieder im Garten meiner Oma.

Es war ein richtiger Bauerngarten. Blumenrabatten, Sträucher mit duftenden, alten Rosensorten und bunt gemischte Gemüsebeete lagen dicht beieinander und in der Nähe des Komposthaufens trieben jedes Frühjahr die rosa Rhabarberstängel aus der Erde. Ich freute mich damals wie heute auf das erste frische Gemüse und es war Tradition, dass wir Kinder eine Stange Rhabarber zum Naschen bekamen. Saftig, knackig, frisch, aber leider auch fürchterlich sauer. Nichts, was Kinder wirklich erfreut.

Omas Trickkiste war eine Dose Zucker, damit wurde der Rhabarber zum Spiel und Genuss. Ich durfte meinen Rhabarberstängel tief in die Zuckerdose tauchen. Die Zuckerkristalle blieben an dem feuchten Rhabarber kleben – und es war dann natürlich eher der Zucker, den ich gerne abschleckte. Die Zuckerdose meiner Großmutter steht heute in meiner Küche, und ich verbinde mit ihr für immer diese kurze Zeit der Frühlingsgefühle und des ersten Frühlingsgemüses. Denn Rhabarber ist kein Obst, sondern gehört als Gemüse in die Familie der Knöterichgewächse.
Weil sich Zucker und Rhabarber so genial ergänzen, landet Rhabarber meist auf Desserttellern und schmeckt als Kompott in Kombination mit Vanille besonders gut. Auch zu Konfitüre lassen sich die rosa Stängel gut verarbeiten und erfreuen uns auf einem buttrigen, warmen Toast. Damit der Rhabarber auch nach dem Erhitzen seine verlockend rosa Farbe behält, gebe ich ein wenig Grenadine dazu. Besonders mag ich am Wochenende einen frisch gebackenen Rhabarberkuchen, ob mit Baiserhaube oder Streusel – in jedem Fall gehört ein großer Löffel steif geschlagener, gut gesüßter Sahne dazu.

Aber der Rhabarber kann noch mehr: Die säuerlichen Stängel passen zu fettem Schweine- oder Lammfleisch ebenso wie zu geräuchertem Fisch. Gerade das Spiel mit der Fruchtigkeit und der Säure macht nämlich den besonderen Reiz aus und regt zum Experimentieren an.  Auch wenn man keine Mengen vom Rhabarber roh essen sollte, ist er  – dünn geschnitten  und in Limetten- oder Zitronensaft mariniert – eine spannende, säuernde Zutat, die gut zu dem rohen Fisch passt und die rohe Zwiebel im Ceviche ersetzt.

Die Saison des Rhabarbers endet traditionellerweise mit dem Johannistag am 24. Juni. In den letzten Jahren war es allerdings im Juni schon viel zu heiß für Rhabarber. Auf jeden Fall schmeckt er jetzt am zartesten.

RHABARBER MIT ROHER SEEFORELLE

ZUTATEN
für 2 Personen

3 Stängel Rhabarber
1 Eßl. Zucker
1 Eßl. Grenadine
Saft einer Limette
1 Teel. brauner Rohrzucker
1 Messerspitze gemörserte Paradieskörner
160 g rohes Filet von der Seeforelle (ohne Haut)
Fleur de sel
1 Messerspitze geröstete Anissaat
2 Stengel Kerbel

ZUBEREITUNG

Die Rhabarberstängel waschen und dünn abschälen bzw. die Haut nur abziehen. Einen Stängel schräg in dünne Scheiben schneiden und in eine kleine Schüssel legen. Darauf etwas braunen Zucker streuen, mit einem Spritzer Limettensaft marinieren und zur Seite stellen.

Zwei Stängel in kleine, gleichmäßige Stücke schneiden. In einer Pfanne den Zucker leicht karamellisieren lassen. Sobald der Zucker flüssig ist, gebe ich die klein geschnittenen Rhabarberstücke hinein und rühre mit einem Kochlöffel um, bis der Rhabarber leicht zerfällt. Die Hitze vorher reduzieren, damit die Stücke noch erhalten bleiben und kein Mus entsteht. Zum Schluss mit einem Esslöffel Grenadine ablöschen.
So bekommt der Rhabarber eine schöne rosa Färbung. 
(Hinweis: Zwei Stängel sind zu viel für das Rezept, aber können als Kompott danach gegessen werden!)

Die Seeforelle in Tranchen von ca. ½ cm Dicke schneiden. Auf einem Teller die Hälfte der roh marinierten Rhabarberstücke verteilen, darauf die Fischtranchen legen und darüber nochmals je eine Scheibe rohen Rhabarber und ein paar kleine Stückchen von dem eingekochten Rhabarber. Mit gemörserten Paradieskörnern und dem gerösteten, ebenfalls grob gemörserten Anissamen bestreuen. Mit Fleur de sel salzen und den restlichen Limettensud vom marinierten Rhabarber darüber träufeln.
GUT ZU WISSEN

Rhabarber ist roh in größeren Mengen nicht zum Genuss geeignet. Der Gehalt an Oxalsäure wird durch Kochen oder Wässern verringert. Auch die Kombination von Rhabarber und Milchprodukte (Calcium) ist chemisch gesehen ideal, weil dadurch die Oxalsäure gebunden und ihre Wirkung regelrecht entschärft wird.
ANRICHTEN

Mit frischem Kerbel (Dill oder Blattkoriander) dekorieren.

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