Radicchio

Die roten Bitteren und mein Radicchiorisotto

Bitterkeit hat es nicht leicht. Unter den fünf Geschmacksrichtungen ist sie die schwierigste und komplizierteste, ihre Geschwister Süß, Sauer, Salzig und Umami sind deutlich beliebter. Wenn es bitter wird, muss man sich in der Küche schon etwas einfallen lassen, damit es allen Gästen schmeckt. Kein Wunder: In der Evolutionsgeschichte war bitterer Geschmack stets ein abschreckendes Zeichen, er sollte uns Menschen vor unbekömmlicher, schwer verdaulicher, wenn nicht sogar giftiger Nahrung warnen. Dabei hilft Bitteres unserem Magen beim Verdauen fettiger Speisen. Das ist auch der Grund – neben dem Genussfaktor – warum wir nach reichhaltigen Mahlzeiten so gerne einen bitteren Digestif trinken. Wir sollten aber auch nicht vor bitterem Gemüse zurückschrecken, dem sogar heilende Wirkung nachgesagt wird. Rucola, Artischocken, Kardi, Rosenkohl, Endivien oder Radicchio werden mit ein paar Tricks und Begleitern wie Aceto Balsamico, Puderzucker, reichlich Butter und gut gereiftem Parmesan zu einer wahren Delikatesse.

Zuerst möchte ich den kleinen runden Radicchio verteidigen, ein bitteres Wurzelgemüse aus Norditalien – das italienische Wort radice bedeutet Wurzel. Radicchio ist eine Züchtung aus der gemeinen Wegwarte, einem Zichoriengewächs. Diese blau blühende Wildpflanze ist in ganz Mitteleuropa auf Wiesen und an Wegrändern verbreitet, in Norditalien war sie schon viele Jahrhunderte lang ein Armengemüse.

Am regenreichen Südrand der Alpen begann man im 19. Jahrhundert aus der gemeinen Wegwarte vielfältige Radicchios zu
züchten. Landstriche und Regionen mit besonders schmackhaftem Quellwasser entwickelten ihre eigenen, unverwechselbaren Sorten, einige davon kennen wir bis heute als Castelfranco, Treviso, Tardivo und Rose von Chioggia. Der Castelfranco bildet einen Kopf mit losen Blättern, bunt gemasert von elfenbeinfarben bis rotviolett. Er sieht wie eine wunderschöne große Rose aus. Der Treviso oder Trevisano ähnelt dem roten Chicorée, von dem noch eine edlere Schwester gezüchtet wurde mit dem Namen Tardivo. Die Blattrispen sind schmal, weiß fleischig mit einem schmalen rosa Streifen drumherum und die Blattspitzen ringeln sich wunderhübsch leicht nach innen. Die starke, weiße Wurzel kann man in dünne Scheiben schneiden und in Olivenöl anbraten. Sie schmeckt wunderbar bitter. Es empfiehlt sich, diese Sorte beim italienischen Gemüsehändler zu bestellen. Sie ist leider doppelt so teuer wie der normale Radicchio, aber auch mindestens doppelt so gut!
Das Gemüse ist seidig zart, die Saison der aus Norditalien kommenden Radicchiosorten beginnt Mitte November und dauert bis in den Februar hinein. Wer nicht so lange warten möchte, muss sich mit der kompakten, runden Rose von Chioggia begnügen, die sich nördlich der Alpen größter Beliebtheit erfreut und von regionalen Gemüsebauern auch ohne Quellwasser angebaut werden kann. Der runde rote Kopf hat genau jetzt Saison. Er lässt sich grillen, anbraten, überbacken und roh im Salat essen. Er schmeckt gut zu Birnen, Walnüssen und Trauben. Ein Stück Blauschimmelkäse passt hervorragend dazu. Risotto gehört ohnehin zu meinen Lieblingsgerichten, gepaart mit Radicchio empfehle ich dieses Rezept:

ZUTATEN für 2 Personen

2 Schalotten
60 g Butter
160 g Risottoreis, am besten die Sorte Carnaroli
100 ml Weißwein
Ca. 1 l Geflügelbrühe
Salz
2 Eßl. Parmesan
2 Eßl. Karamellisierte Walnüsse
1 Radicchio
2 Eßl. Puderzucker
Einen guten Schuss dunklen, alten Balsamicoessig
Grob gemörserter Pfeffer.
ZUBEREITUNG

Die Schalotten schälen und in sehr feine Würfelchen schneiden. In einem Topf auf kleiner Flamme etwas Butter zerlassen und die Schalotte darin anschwitzen, ohne dass sie braun wird. Den Risottoreis dazu geben und mit dem Kochlöffel so lange mit den Schalotten vermischen, bis die Reiskörner schön glasig aussehen. Dann mit soviel Weißwein ablöschen, dass die Reiskörner gerade so bedeckt sind. Den Weißwein unter weiterem Rühren verkochen lassen. Dann immer wieder jeweils eine Schöpfkelle heiße Geflügelbrühe angießen. Dabei weiterrühren bis die Reiskörner alle Flüssigkeit aufgesaugt haben. Salzen.
Nach etwa 20 Minuten ist der Reis fertig. Die Kochdauer hängt auch von der Reissorte ab. Ich bevorzuge die Reissorte Carnaroli. Erst wenn der Reis fertig ist, rühre ich den geriebenen Parmesan ein und lasse das Risotto noch eine Minute abgedeckt stehen. Den Radicchio zerteile ich in einzelne Blätter. Butter in einer Pfanne zerlaufen lassen und die Blätter vorsichtig anbraten. Mit etwas Puderzucker bestäuben, salzen und pfeffern.
Wer mag, kann die angebratenen Blätter zum Schluss mit etwas dunklem Balsamico ablöschen. Dann unter das Risotto heben. Walnüsse in einer Pfanne mit einem Esslöffel Zucker karamellisieren.

ANRICHTEN

Das Risotto in tiefe Teller geben und darüber die karamellisierten Walnüsse streuen, mit grob gemörserten Pfefferkörnern würzen.

GUT ZU WISSEN

Isst man Risotto als Hauptgang, ist eine Espressotasse voll mit Reis eine gute Menge pro Person. Radicchio muss vorsichtig bei nicht zu großer Hitze angebraten werden, damit die Blätter nicht verbrennen. Er verliert seine Bitterkeit durch das Anbraten. Geflügelbrühe lässt das Risotto sämiger werden als Gemüsebrühe, weil sie schön fett ist. Verwendet man Gemüsebrühe, sollte man mit etwas mehr Butter nachhelfen.

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